Wild Men – Was ist ein «richtiger» Mann?

Moviekritik: Wild Men
Bildquelle: 
Xenix Filmdistribution

Martin sitzt in den norwegischen Bergen und weint. Er trägt ein absurdes Kostüm: Seine massigen Körperteile sind mit Fellen bedeckt, er trägt Pfeil und Bogen. In den nächsten Szenen sehen wir den dänischen Mann Mitte vierzig, wie er – ziemlich erfolglos – versucht, Tiere zu erlegen. Wenig später gibt er resigniert auf und begibt sich in eine Tankstelle, um Nahrung zu finden. Zurück an seinem Lagerplatz wird er den ebenfalls dänischen Musa treffen, einen Drogendealer auf der Flucht vor der Polizei, der ihn unter falschen Vorwänden ausnutzen muss, um auf die andere Seite des Berges zu gelangen.

 

Bis zum Ende erfahren wir nicht genau, weshalb Martin weinte. Lag es am Hunger? Vermisst er seine Frau und Kinder, die er in Dänemark gelassen hat? Ist das Leben in der Wildnis schwieriger, als er sich das vorgestellt hatte? In einigen Bereichen zeigt der Film Mut, Spannungen auszuhalten und den Zuschauer:innen nicht alle Antworten zu liefern. Immer wieder sind es Bilder, die trotzdem aussagekräftig Einblicke in das Innenleben von Figuren geben. Der Mann in Fellen, der in der Tankstelle einkaufen geht, ist so ein Bild. Ein anderes ist, wie er einsam auf dem Berg zu leben versucht, es aber ohne iPhone und Musikkopfhörer nicht auszuhalten scheint.

 

Der Film von Thomas Daneskov konzentriert sich hauptsächlich auf den Themenbereich Männlichkeit. In der Tankstelle möchte der Verkäufer Martins Ausweis sehen, um ihm Zigaretten zu verkaufen. «Sehe ich aus wie 17? Sehe ich aus wie ein erwachsener Mann?», fragt Martin daraufhin erbost. Mal mehr, mal weniger subtil wirft «Wild Men» immer wieder die Frage auf, was denn ein erwachsener Mann genau sei. Hier sind einige Antworten, die der Film liefert: Ein richtiger Mann hat studiert, ist altruistisch, kann kiffen wie ein Weltmeister, springt in einen reissenden Fluss, kann sich in der Natur problemlos orientieren und mühelos ein Tier erlegen. Die widersprüchlichen Ansprüche an einen modernen Mann bleiben nicht verdeckt: Er soll gleichzeitig eiskalt und emotional sein können. Es gibt die Erwartung, dass er hart arbeitet – gleichzeitig muss er sich als guter Vater um seine Kinder kümmern.

 

Dass die intensive Beschäftigung mit der Frage nach der eigenen gelebten Männlichkeit mit Privilegien zusammenhängt, wird durch Musa in einer Szene deutlich gemacht, in der er Martin und andere als «Wikinger» verkleidete Männer anschreit: «Was soll das? Warum kocht ihr über Feuer? Warum macht ihr es euch so schwer? Das ist ja wie in einem Flüchtlingslager! Erwachsene Männer in Faschingskostümen!» Es ist ihm offensichtlich unverständlich, wieso man sich freiwillig in solche Situationen begeben würde.


Intertextuelle Verweise prägen den Film ebenfalls. So erinnert die Thematik des Individuums gegen das Kollektiv im Zusammenhang mit in der Wildnis lebenden Menschen, welche polizeilich gesucht werden, an die sehenswerte neuseeländische Komödie «Hunt for the Wilderpeople» von Taika Watiti. Der Film von Thomas Daneskov birgt viele komische Elemente, kann sich aber nicht mit dem Humor in Watitis Film messen. Beide Filme präsentieren auch eine Art umgekehrtes Westernmotiv des modernen Mannes, der in der Wildnis nicht mehr zurechtkommt und immer wieder dazu verdammt ist, in die Zivilisation zurückkehren zu müssen.

 

Die Mehrheit der Handlung findet vor dem Hintergrund von wunderschönen norwegischen Naturlandschaften statt. Ein ständiges Motiv ist die Gegenüberstellung von Norwegen und Dänemark. Hierbei wird Norwegen als Ort der wilden Natur dargestellt. Die dänischen Figuren, die sich hier zurechtfinden müssen, werden häufig missverstanden und in der Folge auf Englisch angesprochen. Die Kommunikationsprobleme verstärken die Trennung zwischen der einzelnen Person und der Gesellschaft, in der sie sich befindet.

 

Der Schnitt ist teilweise nicht ganz flüssig, an gewissen Stellen werden wichtige Informationen weggelassen und es gibt kleinere und nicht so kleine Handlungsfehler, die mit der Logik der im Film präsentierten Welt nicht übereinstimmen. Trotzdem hat der Film grossen Unterhaltungswert und er regt immer wieder zum Nachdenken an.

 


Eine lustiger skandinavischer Film, der sich immer wieder geschickt mit dem Thema Männlichkeit auseinandersetzt.

 

  • Wild Men (Dänemark, 2021)
  • Regie: Thomas Daneskov
  • Besetzung: Rasmus Bjerg, Zaki Youssef, Bjørn Sundquist, Sofie Gråbøl, Marco Ilsø, Jonas Bergen Rahmanzadeh, Håkon T. Nielsen, Tommy Karlsen, Rune Temte, Katinka Evers-Jahnsen
  • Laufzeit: 104 Minuten
  • Kinostart: 24. März 2022

 

Jonas Stetter / Sa, 26. Mär 2022